Teil 1:

Wassilij war ein armer Bauer. Er lebte mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn Aljoscha in einem kleinen Dorf mitten in Russland.

Das Haus war klein aber es hatte große Fenster, und es lag mitten in einem wunderschönen Garten mit einem Birnbaum darin und mit vielen Blumen.

Eines Tages wurde der kleine Aljoscha krank. Er begann zu frieren. Die Eltern legten ihn ins Bett. Er zitterte vor Kälte. Er bekam Medikamente. Doch die halfen nichts. Aljoscha wurde schwächer und schwächer. Schließlich kam von ganz weit her ein alter, ganz alter Doktor. Eruntersuchte den kleinen Aljoscha, fühlte seinen schwachen Puls und seine kalte Stirn. Dann sprach er: "Hier ist meine Kunst zu Ende. Hier kann nur noch einer helfen: Gott!"

Lange Zeit verging. Schwächer und schwächer wurde der kleine Aljoscha. Immer trauriger wurden Wassilij und seine Frau. "Ich muss es tun", sprach Wassilij schließlich, "ich muss mich aufmachen. Ich muss Gott suchen. Ich muss ihn bitten, dass er unserem AIjoscha hilft."

 

Teil 2:

Wenn man Gott besuchen will, so muss man ihn, sicherlich etwas Schönes mitbringen. Wassilij und seine Frau überlegten, was Gott wohl Freude machen könne. Vielleicht duftende Plätzchen Äpfel und Birnen? — Ja!

Wassilijs Frau backte zwei Tage lang Zimtsterne und Schokoladenplätzchen. Dieses packte sie mit Äpfeln und Birnen in eine große Tasche.

Wassilij zog seinen dicken Mantel an seine großen Stiefel. Den langen Schal legte er um. Die warme Mütze setzte er auf.

Die Tasche hängte er über seine Schulter. Wassilij umarmte seine Frau zum Abschied, ging noch mal zum Bett des kleinen Aljoscha, streichelte ihn, und dann machte er sich traurig auf den Weg.

Es war Winter geworden. Der Schnee lag weiß auf dem Garten. Er lag so hoch, dass man den Birnbaum kaum noch sehen konnte.

Der Wind blies kalt und eisig; er blies Wassilij den Schnee ins Gesicht.

 

Teil 3:

Gott besuchen zu wollen, das ist so eine Sache. "Gott wohnt im Himmel.", dachte Wassilij und schaute nach oben. Über ihm hingen die grauen Wolken tief herab.

Wassilij sah keine Tür zum Himmel, er sah auch keine Leiter, die hinaufführte, oder eine Treppe. Nur ganz weit in der Ferne wurde der Himmel niedriger, kam immer tiefer und berührte schließlich die Erde. "Dort muss die Tür zum. Himmel sein", sprach Wassilij bei sich, "dorthin will ich gehen und Gott besuchen."

Wassilij ging und ging er setzte Schritt vor Schritt, sank tief im Schnee ein; der Wind blies ihm ins Gesicht, als ob er böse auf ihn sei; doch Wassilij ging weiter und weiter.

Doch je weiter er ging, er fand die für zum Himmel nicht. Immer, wenn er dachte, "Jetzt bin ich am Ziel, hier berühren sich Himmel und Erde", dann war die Tür zum Himmel wieder weggerückt vor ihm. Wassilij wurde ganz mutlos.

 

Teil 4:

Aber mit einem Mal war dort ein alter Mann am Wege. Wassilij schaute ihn an. Und schon fragte er: "Hast du vielleicht die Tür zum Himmel gesehen? Oder kannst du mir sagen, wie weit es noch ist, wenn man Gott besuchen will?""Das weiß ich nicht", sagte der alte Mann, "du wirst wohl noch weiter gehen müssen."

Seufzend machte sich Wassilij wieder auf. Doch nach einigen Schritten hielt er an. Er schaute sich um: "Der alte Mann hat ja keine Mütze auf Er muss ja erbärmlich frieren. Wie der Wind ihm in die Haare bläst. Wie Schnee und Eis ihn stechen!"

Und schon war Wassilij umgekehrt. Schon hatte er seine eigene warme Mütze abgenommen und sie dem alten Mann geschenkt.

 

Teil 5:

Es war ein wenig heller geworden um Wassilij. Doch er merkte es nicht. Er ging weiter. Der Wind blies nicht mehr so stark. Der Schnee glänzte und glitzerte. Wassilij sah plötzlich einen kleinen Jungen, der weinte.

"Warum weinst Du?" fragte er ihn. "Ach", sagte der Junge, "mein Schlitten ist kaputt gegangen, und es liegt doch so viel Schnee, auf dem man so schön fahren kann.""Na, zeig mal deinen Schlitten", sprach Wassilij, "ich will ihn dir reparieren."

Der Schaden war nicht sehr groß; nach einigen festen Handgriffen war der Schlitten wieder ganz.

 

Teil 6:

Danach ging Wassilij weiter. Kurz darauf traf er am Wege eine junge Frau, die war genauso traurig wie er selbst. Sie weinte.

"Ach", klagte sie, "ich habe zu Hause drei kleine Kinder, und wir haben nichts zu essen." Da erinnerte sich Wassilij, dass er ja noch die große Tasche mit den Plätzchen und dem Obst hatte. Die gab er der Frau.

Unterwegs überlegte Wassilij, was Gott wohl sagen würde, wenn er ihm keine Plätzchen und keine schönen Dinge mitbringen würde. Er hatte ja alles verschenkt: "Vielleicht versteht Gott das nicht, vielleicht wird er böse und kommt nicht mit, wenn ich ihn bitte, mit mir zu unserem kranken Aljoscha zu gehen."

Wassilij wurde traurig. Er begann zu weinen. Die Tränen aus seinen Augen gefroren zu kleinen weißen Perlen.

 

Teil 7:

Plötzlich sah Wassilij in der Ferne ein Licht. Je näher er kam, desto heller und größer wurde es, als ob Kerzen durch ein Fenster schienen. Auch wurde ihm die Gegend vertrauter, je näher er kam: ein kleiner Garten, ein Birnbaum.

Da wusste Wassilij, dass er wieder zu Hause war. Er lief schnell und immer schneller auf das Haus zu. Da, die Tür ging auf und der kleine Aljoscha sprang heraus. Er kletterte an seinem Vater empor. Wassilijs Frau umarmte lachend ihren Mann. Der aber war überaus erstaunt. Er nahm den kleinen Aljoscha auf den Arm. Er wollte kaum glauben, was er sah.

Voller Freude gingen sie ins Haus. Dort standen drei Kerzen auf dem Tisch. Sie erleuchteten den ganzen Raum. Rasch begann Wassilijs Frau zu erzählen. "Wassilij denk dir nur, nachdem du fort warst, kam ein alter Mann, der hatte eine Mütze auf fast so, wie deine Mütze. Er sah unseren Aljoscha und sagte: "Ich will einen Tee kochen, damit der Junge nicht mehr friert." Und unser Aljoscha trank von dem Tee, und er konnte schon fast wieder aufstehen. Dann kam ein kleiner Junge mit einem Schlitten. Der nahm Aljoscha, setzte ihn auf den Schlitten, und beide tummelten sich im Schnee. Dann aber kam eine junge Frau mit einer großen Tasche voller Plätzchen, Äpfeln und Birnen. Unser kleiner Aljoscha aß und wurde wieder ganz gesund. Wassilij, hör doch nur, jeder von ihnen, der alte Mann, der kleine Junge und die Frau, jeder hat eine Kerze mitgebracht und sie mitten auf den Tisch gestellt. Da brennen sie nun, hell und klar und still und erleuchten unser ganzes Haus."

Wassilijs Frau war überglücklich, als sie zu Ende erzählt hatte. Helle Freudentränen liefen ihr über das Gesicht. Auch Wassilijs Tränen, die vorher zu Eis gefroren waren, konnten wieder fließen. Alle drei, Wassilij, seine Frau und der kleine Aljoscha, schauten die Kerzen an. Der Wind, der vorher so laut geblasen hatte, wurde ganz still. Still brannten die Kerzen.

Und Wassilij schaute still vor sich hin ...: Hatte er Gott nun gefunden?

 Geschichte


(als pdf-Datei ca. 20 kb)

Bilder


(als pdf-Datei ca. 850 kb)