Inhalt
1. Einleitung
2. Voraussetzungen für bilinguale Erziehung
3. Kriterien der Typologisierung
4. Modelle bilingualer Programme
5. Anhaltspunkte für die pädagogische Praxis
6. Literatur
1. Einleitung
1.1 Definition bilingualer Erziehung
- pädagogisches Programm, welches durch zwei Unterrichtssprachen
gekennzeichnet ist
- Schlingmann-Zimmermann: "bilinguale Erziehung ist nicht nur Erziehung
für Zweisprachige, noch ist es einfach ein Englisch-als-Zweitsprache-Programm",
sondern ein Modell, das in gemischt-kulturellen Klassen eine optimale Förderung
gewährleisten kann
1.2 Ziele bilingualer Erziehung
- Hauptziel: Verbesserung der Sprachkenntnisse in der Muttersprache, sowie
der Majoritätensprache
- Selbstbewusstsein des zweisprachigen Schülers wird gestärkt,
weil er die Möglichkeit erlangt, in seinem sozialen Umfeld zu kommunizieren
- Verständigung dient als Basis zur Integration in die Gesellschaft
und bietet dem zweisprachigen Schüler die Chance, sein sozialökonomisches
Niveau zu verbessern
- fördert das Verständnis und den Erhalt des kollektiven und
unterschiedlichen kulturellen nationalen Erbes
- da die Voraussetzung zur Verarbeitung von Unterrichtsinhalten das Verständnis
der Schulsprache ist, kann mit Hilfe der bilingualen Erziehung eine Verbesserung
des intellektuellen Leistungsvermögens erzielt werden
- zentrale Aufgabe: die Sicherung der Weiterentwicklung komplexer muttersprachlicher
Fähigkeiten bis hin zur Text- und Begriffsbildungsfähigkeit mit
dem Ziel, die Muttersprache zu erhalten
1.3 Strukturen der Zweisprachigkeit
- Gleichgeordneter (coordinate) Typus
- beide Sprachen funktionieren unabhängig voneinander, so daß
sich das Kind in beiden Sprachen ausdrücken und sie verstehen kann
- es kann nicht unbedingt davon ausgegangen werden, daß das
Kind in der Lage ist, von der einen Sprache in die andere zu übersetzen
- beide Sprachen wurden völlig unabhängig voneinander in
verschiedenen Lebenszusammenhängen erlernt
- Zusammengesetzter (compound) Typus
- Zweitsprache kann nur durch Übersetzung in die Muttersprache
verstanden und angewandt werden
- bedingt einen ständigen Rückgriff auf die Muttersprache,
die eine Koordinationsfunktion erfüllt
- vorwiegend bei Menschen die die Zweitsprache erst in der Schule
erworben haben
- bei den meisten Personen sind Mischformen anzutreffen
2.
Voraussetzungen für bilinguale
Erziehung
2.1 Schülergruppe
- vorher überprüfen, welche Sprachqualifikationen bereits vorhanden
sind
- Schlingmann-Zimmermann: verschiedene Testverfahren einsetzen, um das
Sprachvermögen, den Intelligenzquotienten und den sozioökonomischen
Hintergrund zu untersuchen
- Überprüfung des Sprachvermögens:
- Testen des Wortschatzes und der grammatischen Strukturen
- kaum standardisierte Tests zur Erfassung dieser Daten vorhanden
- Erhebungen des sozioökonomischen Hintergrundes:
- Kenntnisse in der Mutter- und in der Zweitsprache
- Informationen über die Wohnbedingungen, die Sprache im
Elternhaus, die Schulausbildung und die berufliche Situation des
Familienoberhauptes
- Intelligenz:
- durch das eingeschränkte Sprachvermögen der Testpersonen,
sind nur wenige IQ-Testverfahren mit zweisprachigen Kindern durchführbar
- Auf der Grundlage dieser Erhebungen ist es möglich, die Kinder
in verschiedene Lerngruppen zu differenzieren und speziellen bilingualen
Förderprogrammen zuzuordnen
2.2 Lehrerausbildung in den USA im Hinblick auf bilingual-bikulturelle
Erziehung
- sprachliche Fähigkeit
- Linguistik
- Kultur
- Unterrichtsmethoden
- Gebrauch und Anpassung des Curriculums
- Einschätzung
- Schule-Gemeinschaft-Beziehungen anstreben
- Beaufsichtigtes Lehren
3. Kriterien
der Typologisierung
3.1 "Schulorientierte" Kriterien
- programminterne Rahmenbedingungen, die für die Muttersprachenerhaltung
und die Programmqualität ausschlaggebend sind
- Die Unterrichtssprache
- in der Muttersprache,
- in der Zweitsprache oder
- in beiden Sprachen
- Die Abfolge der Unterrichtssprachen
- mit der Muttersprache,
- der Fremdsprache oder
- mit beiden Sprachen gleichzeitig beginnen
- Der zeitliche Anteil der Unterrichtssprachen
- Kultur des Herkunftslandes
- kann entweder in den Unterricht integriert oder
- völlig ignoriert werden
- Funktionale Zuordnung der Sprachen zu bestimmten Unterrichtsfächern
- Unterrichtssprachen können durchgehend im Unterricht eingesetzt
oder
- auf einzelne Fächer beschränkt werden
- Die Nationalität der Lehrer
- Personenkreis der Minorität oder
- Personenkreis der Majoritat
- Die Kompetenz des Lehrers
- unterrichtet in seiner Muttersprache unterrichtet oder
- in einer nachträglich erlernten Zweitsprache
- oder Hilfslehrer
- Die Güte des Programms
- alle an das Kind gerichteten Erwartungen für dieses nachvollziehbar
und angemessen
- Beurteilung des Lehrers angemessen und adäquat
- eine positive Grundeinstellung des Lehrers
- Grad der Einbeziehung der Eltern
- Die Sprache der Umgebung
3.2 "Kontextorientierte" Kriterien
- gesellschaftliche oder programmexterne Variablen
- Minoritäts- versus Majoritätsstatus der Zielpopulation
- deren sozialer Status
- Assimilation/ Pluralismus oder Bereicherung als Programmziel
- Freiwilligkeit von Programmen
4. Modelle
bilingualer Programme
4.1 Bereicherungsmodell
- Zielgruppe: Mitglieder der Mittel- und Oberschicht der dominanten Majorität
- Funktion:
- Sprachbereicherung, Zweitsprache ist nicht dringend erforderlich
- Aufrechterhaltung des sozioökonomischen Status und der vorhandenen
Machtposition
- "elitärer Bilingualismus"
- Ziel:
- additiver Bilingualismus; Entwicklung der Zweitsprache hat keine
Verdrängung der Muttersprache zur Folge
- Mittel: Immersionsprogramme
- frühe und totale Immersion:
- alle Schüler werden vom ersten Schultag an in der Zielsprache,
die nicht die Muttersprache ist, unterrichtet, auch wenn sie keinerlei
Vorkenntnisse in dieser Sprache haben
- muttersprachlicher Unterricht nimmt nur geringen Raum ein
- Unterstützung durch gezielten Fremdsprachenunterricht
- Vermittlung der kulturellen Werte spielt nur untergeordnete
Rolle
- positive Auswirkungen auf die Atmosphäre, da keine Bedrohung
der Muttersprache und da alle Kinder die gleichen Grundvoraussetzungen
mitbringen
- späte und partielle Immersion:
- kann auch nachträglich (bis zum 8. Schuljahr) eingeführt
werden
- ein Jahr Fremdsprachenunterricht, im nächsten Jahr wird
Fremdsprache als Unterrichtssprache durchgehend eingesetzt, im weiteren
schulischen Verlauf wird mindestens ein Unterrichtsfach in der erlernten
Fremdsprache unterrichtet
- Kritik:
- lediglich weiterentwickelte Form des Fremdsprachenunterrichts
- kulturelle Komponenten finden keine Beachtung
- Beispiel:
- Deutsche Auslandsschule:
- bilinguale Erziehung im Heimatland
- Schüler mit deutscher Muttersprache und Schüler mit
fremder Muttersprache werden gemeinsam durch die gesamte Schulzeit
auf Deutsch unterrichtet
- Schüler mit fremder Muttersprache haben eigene Muttersprache
als Unterrichtsfach
4.2 Assimilationsmodell
4.2.1 Übergangsprogramme
- Durchführung:
- Muttersprache wird nur so lange eingesetzt, bis grundlegende Fähigkeiten
in der Zweitsprache gesichert sind (Grundannahme: kognitive Entwicklung
ist nach Erwerb der Lesefähigkeit in der Zweitsprache mit der eines
Majoritätenkindes gleichzusetzen)
- Einsatz der Muttersprache beschränkt sich auf kurze Zeitintervalle
und ausgewählte Unterrichtsfächer zu Beginn der Schulzeit
- keine Förderung oder Erhaltung der muttersprachlichen Ressourcen
- Theorie:
- Hauptgrund für unzureichenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Erfolg der Mitglieder einer Minorität: Chancenungleichheit, die
aus unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen der Kinder zum Schuleintritt
resultiert
- ethnozentrischer Aspekt: Kultur und Sprache der Minorität wird
nicht anerkannt (Chancengleichheit wird lediglich über erweiterte
Zweitsprachenkenntnisse definiert)
- Zielgruppe:
- Kinder, die einer Minorität angehören (sind alltäglichen
strukturellen und kulturellen Diskriminierungen ausgesetzt und können
kein ausreichendes Selbstbewußtsein entwickeln, was zu Motivationsverlust
führt)
- Ziel:
- Minoritätenkindern aus der Unterschicht zu einem Schulabschluß
verhelfen und somit den Eintritt ins Berufsleben zu sichern
- Eingliederung der Minoritäten in die Gesellschaft
- über die Erweiterung der Zweitsprachenkenntnisse soll auf
sprachliche Assimilation hingearbeitet werden
- mit der Vermittlung gesellschaftlicher Strukturen wird auf Wertassimilation
abgezielt
- Beispiel:
- deutsche Regelklasse mit muttersprachlichem Ergänzungsunterricht
für ausländische Schüler
- Muttersprache als Unterrichtsgegenstand
- US-amerikanisches bilinguales Programm
- Immigrantenkinder und Kinder mit Englisch als Muttersprache
bilden Klasse
- Schultag ist gedrittelt:
- 1. nur Unterricht in Englisch für amerikanische Kinder
- 2. gemeinsamer Unterricht in beiden Sprachen
- 3. Kinder mit fremder Muttersprache werden in Muttersprache
unterrichtet
- Majoritätenkinder erhalten gewisse Kompetenz in nichtenglischer
Muttersprache der Mitschüler
- Anteil der nichtenglischen Muttersprache nimmt in Laufe der
Schulzeit ab, ein teil bleibt jedoch immer bestehen
- bilinguales-bikulturelles Programm des Krefelder Modells
- ausländische Kinder besuchen deutsche Klasse, bilden aber
für muttersprachlichen Unterricht eigene Jahrgangsstufenklassen
- muttersprachlicher Unterricht auch in Fächern wir Sozialkunde,
Geschichte, Religion usw.
- zusätzlicher Unterricht Deutsch als Fremdsprache
4.2.2 Submersionsprogramme
- Durchführung:
- Majoritäts- und Minoritätenkinder werden zusammen in der
dominanten Sprache unterrichtet
- unfreiwilliges Sprachbad
- Ergänzung durch Intensivprogramme
- Formen:
- völlige Submersion nach dem Sink-or-swim-Prinzip
- völlige Submersion mit speziellem Fremdsprachenunterricht in
der Zweitsprache
- Submersion mit speziellem Fremdsprachenunterricht in der Zweitsprache
und minimaler mündlicher Muttersprachenkomponente
- Submersion mit oder ohne speziellen Fremdsprachenunterricht und
mit der Muttersprache als Schulfach
- Kennzeichen:
- Fehlen der Brückenfunktion der Muttersprache
- Ziele: wie bei Übergangsprogrammen
- Beispiele:
- normale deutsche Regelklasse mit ausländischen Schülern
ohne muttersprachlichen Unterricht
- Differenzierung nötig: Regelklasse mit deutschen Schülern
oder multinationale Regelklasse ohne deutsche Schüler
4.2.3 Kritik am Assimilationsmodell
- bewusste Vernachlässigung der Muttersprache und des individuellen
Förderbedarfs der Kinder
- nicht die speziellen Bedürfnisse der Minorität steht im Mittelpunkt,
sondern ihre schnellstmögliche Anpassung an die Gesellschaftsstrukturen
der Majorität
4.3 Emanzipationsmodell
- Programm:
- Spracherhaltungsprogramme
- Hauptfunktion:
- Förderung der Sprache und Kultur einer Minorität
- Ziel:
- Akzeptanz und Stärkung der ethnischen Identität von Minderheiten
- Emanzipation der Minorität
- Aufnahme der Sprache der Minderheit in die Gesellschaft
- Entwicklung eines „neuen Pluralismus", innerhalb dessen die
Gesellschaft aus verschiedenartigen Gemeinschaften besteht
- Theorie:
- Konfliktmodell, das von Interessenkonflikt der ethnischen Minderheit
zwischen der persönlichen kulturellen Prägung und den gesellschaftlichen
Bedingungen der Majorität ausgeht
- nicht das Individuum, sondern die gesamte gesellschaftlich benachteiligte
Gruppe wird berücksichtigt
- Vorteile:
- sozialer Bereich: Aspekt der Chancengleichheit
- sprachlicher Bereich: Bereicherung der Gesellschaft durch breiteres
sprachliches Spektrum
- pädagogische Umsetzung:
- Einsatz der Muttersprache im Unterricht
- zu Beginn der Schulzeit fast ausschließlich
- Anteil wird im Laufe der Schulzeit beständig reduziert
- gezielter Zweitsprachenunterricht
- Alphabetisierung mit Hilfe der Muttersprache, um Verständnisprobleme
zu vermeiden
- Vorteile:
- Muttersprache wird nicht als Ursache für schulische Mißerfolge
gesehen, sondern als Bestandteil der persönlichen Entwicklung
- somit ist es Kindern möglich, der neuen Kultur und Sprache
aufgeschlossen gegenüberzutreten
- Hauptmerkmale:
- Einrichtung von homogenen Klassen mit Kindern der Minorität
- später Einsatz des zweisprachigen Unterrichts
- Kritik:
- Integration durch Segregation
- keine Verhinderung der Diskriminierung, sondern Verschiebung
auf den außerschulischen Bereich
- Beispiel:
- muttersprachliche Klassen
4.4 Multikulturelle Programme
- Sonderstellung in der bilingualen Erziehung, weil
- die kulturelle Erziehung im Vordergrund steht und die sprachliche
Komponente nur zweitrangig behandelt wird
- alle multikulturellen Programme streben multikulturelle Gesellschaft
an
- sozialer Hintergrund:
- Forderung der ethnischen Minderheiten nach Chancengleichheit und
Abwendung von der allgemeinen Defizitorientierung im schulischen Bereich
- Kritik:
- mangelnde Praxisberichte
- gehen nicht auf die Problematik der Multikulturalität ein,
sondern lediglich auf die Bikulturalität (Reduzierung auf einheitliche
Minorität entspricht nicht den Tatsachen)
4.4.1 Erziehung kulturell Andersartiger oder wohlwollender Multikulturalismus
- Ausgangspunkt:
- Benachteiligung der Minoritätenkinder innerhalb des Unterrichts
- vor allem Ignoranz ihrer Kultur
- trotz gleicher Zugangschancen zu allen Schulformen keine Gleichbehandlung
- Durchführung:
- Möglichkeit zur Ursachenbeseitigung: Kooperation der Schule
mit dem Elternhaus unter Beachtung der Gleichberechtigung der Kulturen
- besondere Stellung des Lehrers, Schlüsselqualifikationen
- Berücksichtigung der kulturspezifischen Strukturen der
Kognition, der Perzeption und der Persönlichkeit
- Berücksichtigung der Lernstile
- Berücksichtigung der menschlichen Beziehungen
- Berücksichtigung motivationaler Aspekte
- Kenntnisse des kulturellen Umfelds
- Kenntnisse der Lebensgewohnheiten der Schüler
- Kritik:
- Muttersprache kommt innerhalb des Unterrichts nicht zum Einsatz,
so daß die Kinder der ethnischen Minderheit dazu gezwungen werden,
den sprachlichen Teilaspekt ihrer Kultur aufzugeben und sich statt dessen
die Majoritätssprache anzueignen
- Gefahr, daß die Aspekte Schulversagen und kulturelle Herkunft
größtenteils im Zusammenhang gesehen werden
- Eindruck der Sonderbehandlung durch
- vermehrten Einbezug von kulturellen Aspekten der Minorität
- Differenzierung der Klasse nach ethnischer Zugehörigkeit,
wenn kulturspezifische Unterrichtsinhalte vermittelt werden
- es wird davon ausgegangen, daß kulturelle Inkompatibilität
Schulversagen auslöst, was aber nicht empirisch zu belegen ist
- dagegen zeigen Untersuchungen den Zusammenhang zwischen Schulversagen
und der Nichtbeherrschung der Muttersprache
- Hauptvorteil:
- kostengünstige Durchführung
4.4.2 Erziehung zur Vermittlung von kulturellen Unterschieden oder kulturellem
Verständnis
- ideologische Grundlage:
- kulturelle Vielfalt ist fester Bestandteil vieler Gesellschaften
und trägt zu deren Entwicklung bei
- Ziele:
- Vermittlung der Fähigkeit, sich in einer multikulturellen Gesellschaft
zurechtzufinden
- Minoritätenkinder sollen positive Einstellung zu ihrer Herkunftskultur
erlangen
- auf Seiten der Majoritätenkinder sollen Vorurteile abgebaut
werden
- Vermittlung einer Akzeptanz kultureller Verschiedenheit
- Zielgruppe:
- alle Schüler, die innerhalb des Unterrichts kulturelle Unterschiede
kennen- und verstehen lernen sollen
- Durchführung:
- Kultur wird als eigenständiges Fach vermittelt und gleichzeitig
fächerübergreifend eingesetzt
- Kritik:
- mögliche Gefahr der Differenzierung der beiden Gruppen durch
Überbetonung der kulturellen Unterschiede
- undefinierter Kulturbegriff, der für Strukturierung des Programms
ausschlaggebend ist
- obwohl Muttersprache Bestandteil der Kultur innerhalb des Unterrichts
manifestiert ist, wird ihrer Bedeutung für die allgemeine Entwicklung
des Kindes nur unzureichend Rechnung getragen
4.4.3 Erziehung zu kulturellem Pluralismus
- Grundannahme:
- kultureller Pluralismus ist wesentliches Merkmal der Struktur einer
demokratischen Gesellschaft
- somit müssen ethnischen Minderheiten staatliche Rechte und
die Möglichkeit eines autonomen Lebens gewährleistet werden
- ideologischer Hintergrund:
- Vermeidung einer Unterdrückung der Herkunftskultur zugunsten
der gesellschaftlichen Normen der Majorität
- Hauptziele:
- Bewahrung des Kulturguts
- Ermöglichen der Ausübung
- Abbau der übergeordneten Rolle der Majorität, um der Minorität
die Möglichkeit zum gleichberechtigten Mitspracherecht zu sichern
- Durchführung:
- Erziehung von Minoritätenkindern in gesonderten kulturspezifischen
Schulen
- Kritik:
- mangelnde Förderung der Zweitsprachenkompetenz, da Kinder in
monolingualem Umfeld leben und unterrichtet werden
4.4.4 Bikulturelle Erziehung
- ideologischer Hintergrund:
- wie der des kulturellen Bilingualismus
- Ziele:
- Kompetenzen in zwei Kulturen
- Minorität:
- erfolgreiches Operieren in zwei Kulturen
- bilinguale Identität
- Majorität:
- partielle Teilhabe an der Kultur der Minorität
- sozioökonomische Chancengleichheit
- Verständnis für und Stolz auf die eigene Kultur
- vermehrter Schulerfolg
- Verringerung von Vorurteilen und Diskriminierung
- Durchführung:
- einzelne Unterrichtssequenzen, in denen ein gemeinschaftlicher Unterricht
stattfindet, wobei die Schülergruppe nur bikulturell und nicht
multikulturell sein sollte
4.4.5 Multikulturelle Erziehung als normale menschliche Erfahrung und
andere Vorschläge
- Ansatz:
- anthropologische Sichtweise der Begriffe
- Erziehung (= Form der Sozialisierung und Grundvoraussetzung
zur Integration in die Gesellschaft) und
- Kultur (= sehr weiter Kulturbegriff, der auch unterschiedlichste
Lebensbedingungen der Individuen berücksichtigt)
- Gesellschaft besteht aus unzähligen Mikrokulturen, jeder Mensch
wächst in vielen Mikrokulturen und somit multikulturell auf
- Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturen beschränkt
sich nicht auf die Gruppe der ausländischen Kinder, sondern
ist alltägliche Erfahrung für jeden
- Durchführung:
- multikulturelle Erziehung kann nicht nur auf schulischen Bereich
bezogen werden
- Ziele innerhalb der Schule:
- Kinder sollen lernen, gemeinsam zu agieren und somit ihre Unterschiede
und Ähnlichkeiten kennen- und akzeptieren lernen
- Aufhebung der strikten Trennung von Majoritäts- und Minoritätskultur
- Vorteile:
- Konzept fördert gemeinschaftliche Arbeit und damit die Auseinandersetzung
der Schüler mit ihrer eigenen und mit fremden Kulturen
- neben Toleranz und Verständnis kann natürlicher Zweitspracherwerb
erzielt werden
5.
Anhaltspunkte für die pädagogische
Praxis
- jede Schülergruppe weist individuellen Förderbedarf auf
- Aufgabe des Lehrers, aus den vorhandenen Modellen jeweils Teilaspekte
herauszuziehen, sie zu einem geeignetem Lehrprogramm zu kombinieren
und sie ggf. zu modifizieren
- die Ursache für Lernschwierigkeiten bei zweisprachigen Schülern
liegt hauptsächlich in der mangelnden Muttersprachenkompetenz
- Förderung der Muttersprache sollte schon im Elementarbereich
einsetzen und einen großen Teil der Unterrichtszeit ausmachen
- im weiteren Verlauf der Schulzeit kann der Muttersprachenanteil
reduziert werden, sollte aber immer mindestens 1/3 des Stundenplans
betreffen
- Muttersprachenförderung, Zweitspracherwerb und andere stark sprachbezogene
Fächer sollten zunächst in getrennten Lerngruppen erfolgen, um
Misserfolgserlebnisse und Diskriminierungen zu vermeiden
- Begrenzung des integrativen Unterrichts, der den Kulturerwerb sichert,
zunächst auf sportliche und musische Fächer und außerschulische
Aktivitäten
- im weiteren Verlauf nimmt der gemeinsame Unterricht zu
- Lehrer der ethnischen Minderheit, der im regen Austausch mit dem Majoritätslehrer
steht, sollte auch zugegen sein
- Bedürfnissen, Ängste und Probleme der Minoritätenkinder
können erkannt, aufgegriffen und im Unterricht thematisiert werden
- bilinguale-bikulturelle Erziehung dient nicht nur der Integration von
Ausländerkindern, auch Majoritätenkinder erlangen Kompetenzen,
die für den Umgang mit Minderheiten Voraussetzung sind
- multikulturelle Gesellschaft sollte als bestehende Gesellschaftsform
anerkannt werden
- Unterscheide und Ähnlichkeiten zwischen Kulturen sollten als
positiv empfunden werden
- gemeinschaftliche Arbeit steht im Vordergrund : Lernschwierigkeiten
werden angesprochen, um Unterstützung der Mitschüler zu sichern
6. Literatur
- Fthenakis, W.E./ Sonner, A./ Thrul, R./ Walbiner, W. (1985): Bilingual-bikulturelle
Entwicklung des Kindes. München: Hueber
- Gerling, U./ Thürmann, E. (1997): Wege zur Mehrsprachigkeit. In:
SchulVerwaltung - Zeitschrift für Schulleitung, Schulaufsicht und Schulkultur,
Heft 6/7/97
- Schlingmann-Zimmermann, U. (1982): Bilinguale-bikulturelle Erziehung
in den Vereinigten Staaten - Bericht über einen Forschungsaufenthalt
in den USA. Berlin
- Jungblut, G. (1982): Zweisprachiger Unterricht und bikulturelle Erziehung
- Theorie und Praxis am Beispiel USA. In: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(Hrsg.): Die deutsche Schule, Heft 5/ 82, 74. Jahrgang
- Eichstatt, M. (1985): Bilingualer Unterricht - wie ist er zu realisieren?
In: BAGIV: Muttersprachlicher Unterricht in der Bundesrepublik Deutschland.
Hamburg