Aufgrund einiger Nachfragen möchte
ich hier besonders darauf hinweisen, dass ich mich bei der Klassifizierung der
Behinderungsformen berufe auf:
Heinz Mühl (1994): Einführung in
die Geistigbehindertenpädagogik. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer
Darüber hinaus handelt es sich
bei den beschriebenen Symptomen selbstverständlich um mögliche Symptome. Nicht
jeder betroffene Mensch weist alle angeführten Symptome auf.
Allgemeines
- ca. 20 %
der geistigen Behinderungen sind exogen bedingt
Pränatale Schädigungen
Drei Hauptstadien der Entwicklung mit verschiedenen möglichen Schädigungen:
1.-3. Schwangerschaftswoche (Blastemperiode): Blastopathien
- schwerste Störungen, oft Absterben
- selten Doppelmissbildungen, sehr selten siamesische Zwillinge
1.-3. Schwangerschaftsmonat (Embryonalperiode): Embryopathien
- Störungen im Aufbau der Organe
- Ursachen: Infektionen, Stoffwechselerkrankungen, chronischer Sauerstoffmangel,
Noxen (Gifte)
4.-9. Schwangerschaftsmonat (Fetalperiode): Fetopathien
- Störungen der funktionellen Reifung der Organe
- Ursachen: z.B. Infektionen, Blutgruppenunverträglichkeit
Infektionen
Rötelnembryopathie (Gregg-Syndrom/ Embryopathia
rubeolosa)
- Fehlbildungssyndrom infolge intrauteriner Rötelninfektion bei Erkrankung
der Mutter an Röteln während der ersten drei Schwangerschaftsmonate
- Folgen einer Rötelninfektion in der Frühschwangerschaft:
- Fehlgeburt
- Frühgeburt oder
- Geburt eines kranken Kindes
- Symptome:
- Prophylaxe: Impfung der Mutter vor der Schwangerschaft
- Therapie ist nicht möglich, so dass eine nachgewiesene Infektion der
Schwangeren mit Röteln während der ersten zwölf Schwangerschaftswochen eine
medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch darstellt
Luetische Erkrankung (Syphilis)
- intrauterin, ab dem 5. Schwangerschaftsmonat erworben, d.h. durch die
erkrankte u. unzureichend behandelte Mutter übertragen
-
es kann zur Fehl- oder Frühgeburt kommen, oder aber
das Kind kommt mit einer angeborenen Syphilis zur Welt.
- Symptome
- Hautveränderungen
- organische Veränderungen
- geistige Behinderung
- Symptome beim Neugeobrenen
- Pemphigus syphiliticus (bullöse u. ulzeröse Exantheme
bes. an Handflächen u. Fußsohlen)
- Parrot-Furchen durch narbige Abheilung krustöser Papeln u.
radiärer Einrisse um den Mund
- Coryza syphilitica (eitriger, blutiger, sog. schnarchender Schnupfen
durch Nasenschleimhautbefall)
- Leber- u. Milzvergrößerung
- Anämie
- Osteochondritis syphilitica
- Pneumonia alba
- Rechtliches: Meldepflicht
Cytomegalie (Virus der Herpes-Gruppe)
- Erkrankung, die durch das Humane-Zytomegalie-Virus (HZMV) ausgelöst wird.
- Virus bleibt nach einer Infektion lebenslang in den menschlichen Zellen.
Selbst nach Beendigung der Erkrankung kann es noch wochenlang mit Speichel und
Urin ausgeschieden werden.
- Virus ist für gesunde Erwachsene in der Regel harmlos, aber in
der Schwangerschaft ist es besonders gefährlich
und kann für ungeborene Kinder sogar lebensgefährlich sein
- Meldepflicht
- Häufigkeit: 0,5-2% der Neugeborenen werden innerhalb der ersten
6 Schwangerschaftsmonate infiziert
- kommt es während des ersten oder zweiten Drittels der Schwangerschaft zu einer Infektion, so kann sie
zu Fehlbildungen beim Kind führen.
- Prognose: geringe Lebenserwartung
HIV-Infektion
- HIV-Infektion aufgrund einer Übertragung des Virus von der Mutter
auf das ungeborene Kind
- Symptome:
- Entwicklungsstörungen
- Intelligenzminderung
- HIV-Infektion des Kindes kann lange symptomlos bleiben, aber wenn Erkrankung
einsetzt Verlust von vielen Fähigkeiten
Pränatal erworbene Toxoplasmose
- Toxoplasmose ist meldepflichtig
- häufig auftretende Infektionskrankheit beim
Menschen, übertragen durch den Parasiten Toxoplasma gondii
- Hauptwirte sind Katzen und katzenartige Tiere, die
Vorstadien des Einzellers im Darm bilden und durch ihre Exkremente ausscheiden
- Einzeller
sind auch über die Erde (Gartenarbeit), über rohe Eier
und rohes Fleisch (z.B. Mett oder Geflügel) und Rohmilchprodukte übertragbar
- Inkubationszeit
beim Menschen: 1 bis 3 Wochen
- Häufigkeit: 3:1.000
Lebendgeburten
- Infektion verläuft bei gesundem
Immunsystem für ca. 90 % der
Betroffenen beschwerdefrei und symptomlos
- nach einmaliger Toxoplasmose-Infektion hatten, besteht normalerweise Immunität
- erstmalige Infektion der Mutter im ersten oder zweiten Drittel einer Schwangerschaft kann zu
erheblichen Schädigungen des ungeborenen Kindes führen
- im ersten Trimenon entwickeln 70 % der infizierten Kinder eine Toxoplasmose, die meist zur
Fehlgeburt führt
- im zweiten Trimenon entwickeln 30 % eine Toxoplasmose, die in 75% in eine latente Toxoplasmose übergeht und zu erheblichen
Beeinträchtigungen beim Kind führt
- im dritten Trimenon entwickeln 10 % der infizierten Kinder eine Toxoplasmose, die in 90% in eine latente Toxoplasmose übergeht und zu erheblichen
Beeinträchtigungen beim Kind führt
- mögliche Symptome:
- Abort oder Totgeburt
- Hydrocephalus
- Entzündungen der Augeninnenhaut
- Schäden an der Leber, Lunge, Gehirn, Augen, Herzmuskel und Hirnhaut
- kognitive
Einschränkungen bis zur geistigen
Behinderung
- Epilepsie
- Spastik
- Verkalkungen der Hirngefäße´
- Therapie:
- nachgewiesene Infektion in der Schwangerschaft muss behandelt werden
- je
früher die Behandlung begonnen wird, umso geringer ist die Schädigung des Kindes
(Senkung der Schäden bis zu 60 %)
- bis zur 16. Schwangerschaftswoche: Spiramycin
- ab der 16. Schwangerschaftswoche: Kombination
aus Sulfadiazin, Pyrimethamin und Folinsäure
- Prognose:
- ist vom Zeitpunkt und der
Intensität der Infektion abhängig
- ca. 90% der in der Schwangerschaft infizierten Kinder sind zum
Zeitpunkt der Geburt gesund, es können sich aber noch nach Monaten bis Jahren
Spätschäden einstellen
- Rechtliches
- Erregernachweis ist bei angeborener Infektion
meldepflichtig
Chemische Einflüsse
- Auswirkungen von teratogenen (giftigen) Stoffen sind Dysmelie-Syndrome
Alkohol
- Alkoholembryopathie (AE) oder fetales Alkoholsyndrom (FAS )
- Schädigung des Kindes durch übermäßigen, dauerhaften und krankhaften
Alkoholgenuss der Mutter während der Schwangerschaft
- Alkohol im Blut der Mutter gelangt in der Schwangerschaft ungehindert über den
Mutterkuchen zum Embryo, so dass sich dort die gleiche Blutalkoholkonzentration einstellt
- da
der Alkohol für alle Körperzellen giftig ist, entwickeln sich Organe mangelhaft
oder fehlerhaft
- Häufigkeit:
- in Deutschland jährlich über 3000 Neugeborene
- Symptome
- pränataler Minderwuchs, Untergewicht
- postnatale Wachstumsverzögerung
- reduziertes Fettgewebe
- Microcephalie
- Zahnanomalien
- veränderte Stellung der Ohren
- Augen-, Genital-, Skelett- und Nierenfehlbildungen
- Herzfehler
- Entzugserscheinungen
- geistige Entwicklungsverzögerung
- Sprach- und Lernstörungen
- Hyperaktivität
- Distanzlosigkeit
- autistische Züge
- Aggressivität
- emotionale Instabilität
- Muskelhypotonie
- typisches Gesicht mit kurzen Lidspalten, schmalem Lippenrot, kurzem
Nasenrücken und fliehendem Kinn
Drogen, Medikamente
Contergan (Thalidomidembryopathie)
- Zusammenhänge zwischen Einnahme des Medikaments
"Contergan" bei Müttern in der Frühschwangerschaft und
charakteristischen Missbildungen bei Neugeborenen wurden 1961 nachgewiesen -
Ende diesen Jahres wurde Contergan vom Markt genommen
- genaue biochemischen Zusammenhänge der Schädigung des Embryos durch Contergan
sind bis heute nicht geklärt - Thalidomid überschreitet die Plazentaschranke
und gelangt in den Blutkreislauf des Embryos, wo es zu Störungen der
Organentwicklung kommt
- Symptome:
- Missbildungen im Bereich
der Arme und Beine, teilweise fehlen ganze Knochen
- Fehlbildungen an Ohren und
- Fehlbildungen an inneren Organen
- Therapie:
- Behandlung der degenerativen Veränderungen an den missgebildeten Gelenken
- Behandlung von frühzeitigem Verschleiß
- Behandlung der Schmerzen und Beschwerden an
Schulter, Ellbogen, Hand und Wirbelsäule
Nikotin
- keine sichere teratogene Wirkung
- bei mehr als 6 Zigaretten pro Tag: Erhöhung des Fehlgeburtsrisikos
und Erniedrigung des Geburtsgewichts
- Kinder rauchender Mütter leiden deutlich häufiger an
- pränatalen Wachstumsstörungen;
- Hyperexzitabilität
- Hyperaktivität
- verzögerte geistige Entwicklung
- geringe Zahl roter Blutkörperchen
- niedrigere Hämoglobinwerten;
- um 25 bis 50% erhöhtes Risiko des plötzlichen
Kindstods
- Vitamin-B-12-Mangel,
der Chromosomenschäden und gehemmte Zellteilung zur Folge haben kann
- ein um 30% erhöhtes Risiko, im Jugendalter an Asthma zu erkranken
- erhöhtes Lymphom- und Leukämierisiko
Strahlen
Röntgenstrahlen
- vor allem zwischen der 2. und der 15. Schwangerschaftswoche besteht
die Gefahr fürs Kind - nach der 15. Woche sind Schädigungen unwahrscheinlich
- mögliche Symptome:
- Minderwuchs
- Entwicklungsstörungen
- geistige Behinderung
Perinatale Schädigungen
Geburtstrauma
- bei Zangengeburt Druck auf Kopf, dadurch Deformierung des Schädels
und Verletzungen des Gehirns (Hirnblutungen) möglich
Hypoxisch-ischämische Encephalopathie
- Begriffsklärung:
- hypoxisch=herabgesetzter Sauerstoffgehalt
- ischämisch=verminderte Durchblutung
- Encephalopathie=nichtentzündliche Erkrankung oder Schädigung
des Gehirns
- Vorzeitige Ablösung der Plazenta oder Nabelschnurverschlingung,
dadurch Sauerstoffmangelsituation
Frühgeburt
- Verkürzung unter 37 Wochen, Gewicht unter 1500g (kritisch bezüglich
der Intelligenzentwicklung)
- Unterschied: Fehlgeburt = Vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft
durch Abstoßen des Fetus, der weniger als 100g wiegt, kleiner als
35cm ist und dem alle für eine Lebendgeburt maßgeblichen Lebenszeichen
fehlen
Postnatale Schädigungen
Vorsorgeuntersuchungen
- U 1: sofort nach der Geburt
- U 2: 3.-10. Lebenstag
- U 3: 3.-4. Lebenswoche
- U 4: 3.-4. Lebensmonat
- U 5: 6.-7. Lebensmonat
- U 6: 10.-12. Lebensmonat
- U 7: 21.-24. Lebensmonat
- U 8: 3.-4. Lebensjahr
- U 9: 5.-6. Lebensjahr
Entzündliche Erkrankungen des ZNS
Meningitis
-
Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute
- kann akut, chronisch oder rezidivierend verlaufen
- Ursachen:
- Infektion
- Systemerkrankungen (z. B.
Kollagenosen, Vaskulitiden)
- verschiedene oder bösartige Veränderungen
- ionisierende Strahlen
- intrathekal
verabreichte Medikamente
- Komplikationen:
- kognitive Behinderung
- schlimmstenfalls Sepsis und
septischer Schock
- Tod
- unbehandelt verläuft die bakterielle
Meningitis oft tödlich
- unter
Therapie beträgt die Sterblichkeit je nach Art der
Erkrankung auch noch 5 bis 30 %
- Waterhouse-Friderichsen-Syndrom
(Schockzustand bei Kleinkindern aufgrund von hämörrhagischer
Nekrose beider
Nebennieren infolge einer Sepsis)
- Dauerschäden:
Encephalitis
- Entzündung des Gehirns
- Ursache:
- Infektion (meistens)
- Viren
- Bakterien (selten)
- Protozoen (selten)
- Pilze (selten)
- geistige Behinderung ist möglich
Meningocephalitis
- Entzündung des Gehirns, der Hirnhäute und des Rückenmarks
Schädel-Hirn-Trauma
Hirntumore