- wichtige Vorbedingungen zur Verkehrserziehung, die schon früh angelegt
werden müssen: Körpererfahrung, lebenspraktische Erziehung, lebenskundige
Orientierung
- durch allmähliche Erweiterung der Selbständigkeit und der
Fähigkeit zur Raumkompetenz wird Teilnahme am Straßenverkehr
möglich
Sinnliche Erfahrung der Umwelt
Hören
- neben dem Gleichgewichtsorgan erstes ausgebildetes Organ
- steht in sehr enger Verbindung zum Gleichgewichtsorgan
- Hören hat gefühlsmäßig sehr enge Verbindung mit
Geborgenheit
- erste Information über den Verkehr und die Vorentscheidung über
unsere Reaktion im Verkehr stammt aus Hörerfahrungen
- räumliches Hören bildet sich erst im Lauf des ersten Lebensjahrzehnts
voll aus
Fühlen
Sehen
- Hauptinformationskanal, auf dem Verkehrsteilnahme beruht und auf den
die Verkehrsteilnahme ausgerichtet ist
Gedächtnismäßige Repräsentation der Umwelt
- Orientierungsvermögen bildet sich aus der sinnlichen Erfahrung
der Umwelt
- Kinder, die ihre Umgebung selbständig explorieren können,
sind Gleichaltrigen mit Bewegungseinschränkungen in der Güte ihrer
Orientierungsfähigkeit voraus
Informationsreduktion und Entscheidung
- Umwelt liefert viel mehr Informationen als wir verarbeiten können
3.1 Verkehrsunspezifische Qualifikationen
- zum Handeln bedarf jeder Mensch grundlegender Qualifikationen
- Fähigkeitsbereiche, deren Richtung, Profil und Ausprägung
die "Handlungsintelligenz" eines Menschen bestimmen
- Handlungsintelligenz: Fähigkeit, handlungsunabhängige Probleme,
die sich im Lebensvollzug ergeben, zu erkennen und angemessen zu lösen
- geschieht im Regelfall durch situationsabhängige Kombination vorhandener
Verhaltensmuster, selten auch durch neue Handlungsentwürfe
- Handlungsintelligenz kann behindert sein, aber nur in sehr seltenen
Fällen ist sie überhaupt nicht vorhanden
- "dynamischer Begabungsbegriff": bereichsgebundene Fähigkeiten
können durch Lernen und Förderung entfaltet und handelnd gesichert
werden
3.1.1 Visuelle Wahrnehmungsfähigkeit
- visuelle Leitungsbahnen machen fast 40 % des menschlichen zentral-nervösen
Leitungssystems aus
- über das Auge einfallende Informationsmenge in jeder Sekunde: 10
Millionen Bit; Informationsmenge, die das menschliche Gehirn pro Sekunde
bewusst wahrnehmen und in das optische Gedächtnis übernehmen kann:
16 Bit
- Teilfunktionen:
- optische Teilfunktion
- motorische Teilfunktion (betrifft die Muskeln des Augapfels)
- neuropsychologische Teilfunktion (betrifft die Auswahl, Verarbeitung
und Weiterleitung der empfangenen Informationen im Gehirn)
- visuell-motorische Teilfunktion (der Erfassung bestimmter Gegenstände
liegen feinste muskuläre Reflexbewegungen zugrunde)
- beidäugige Augen-Muskel-Koordination ist die Grundlage
jeder optischen Differenzierung
- die für die Verkehrserziehung wichtige Fähigkeit, Entfernungen
zwischen beobachtbaren Gegenständen und der eigenen Person einzuschätzen,
hängt von Wahrnehmungsvorgängen und von vielfältigen begleitenden
Umwelterfahrungen, von Fortbewegungserfahrungen und von manuellen Erfahrungen
im Umgang mit Gegenständen ab
- Störungen der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit betreffen zunächst
optische Sehschwächen, ungenügende Scharfeinstellungen bei wechselnden
Entfernungen, Augenmuskelschwächen und Koordinationsstörungen
zwischen der Bewegung der beiden Augäpfel
- zentrale Sehstörungen (Störung der Speicherfähigkeit
visueller Eindrücke im Gehirn, so dass Erscheinungen und Gegenstände
der Umwelt eingeschränkt oder gar nicht begriffen werden) sind besonders
schwerwiegend, da in der Folge oft soziale Wahrnehmungsstörungen stehen,
da das Verhalten der Mitmenschen nicht richtig verstanden werden kann
- Behinderungen der visuellen Wahrnehmung können im Laufe des menschlichen
Aufwachsens zu Lernhemmungen und Erfahrungsbeeinträchtigungen führen
3.1.2 Akustische Wahrnehmungsfähigkeit
Bedeutende Faktoren in Bezug auf eine Hörstörung:
- Zeitpunkt des Eintretens der Hörstörung (nach vollzogenem
Spracherwerb weniger dramatische Auswirkungen als während des ersten
Lebensjahres oder während der Geburt)
- Zeitpunkt des Erkennens der Hörstörung (liegt er zu spät,
können sich Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kind ergeben)
- Art der Behinderung (problematisch sind Schäden im Bereich des
Innenohres, weil sie direkt die Verarbeitung im Gehirn betreffen und apparativ
nur sehr schlecht oder gar nicht zu beeinflussen sind)
Beeinträchtigungen, die unmittelbare Bezüge zur Teilnahme am
Straßenverkehr haben:
- Benachteiligung im Hinblick auf das visuelle Wahrnehmen von silhouettenhaften
Darstellungen und beim erkennen von Gegenständen anhand eines isolierten
dargebotenen Teils
- können Gegenstände weniger differenziert wahrnehmen
- größere Probleme, den Aspekt zu verändern, unter dem
sie ein Bild betrachten
- bei Schädigung der Bogengänge des Innenohres ist das motorische
Gleichgewicht eingeschränkt
- gestörte Bewegungskoordination
- Beeinträchtigung der Umsetzung gedanklicher Pläne in konkretes
Handeln
- bedingt durch lautsprachliche Retardierung und häufig verringerte
Kommunikationsfähigkeit kann es zu eingeschränkter Differenzierung
von Emotionen kommen
- mangelnde Differenzierung von Emotionen kann in Verbindung mit fehlenden
Ausdrucksmitteln zu Auffälligkeiten (z.B. Aggressionen, Unbeherrschtheit,
Trotz oder Weinen) im zwischenmenschlichen Verhalten führen
- ausgeprägte Kritiklosigkeit gegenüber eigenen Leistungen und
egozentrische Lebenseinstellung
- ausgeprägter Verständnismangel für die Regeln geordneter
mitmenschlicher Beziehungen
- Verzögerung der intellektuellen Entwicklung, da durch den Ausfall
der Lautsprache Entwicklungsimpulse fehlen
- verminderte Konzentrationsspanne, da stärkere Konzentration nötig
ist, um der Sprache den Informationsgehalt zu entnehmen
Beeinträchtigungen oder Ausfälle der akustischen Wahrnehmung treten
häufig zusammen mit anderen Behinderungen auf
3.1.3 Motorik
- Wahrnehmungsvorgänge hängen sehr eng mit der menschlichen
Motorik zusammen
Mögliche Koordinationsschwächen der einzelnen Bewegungsmerkmale:
- Bewegungspräzision
- Bewegungsökonomie
- Bewegungsfluss
- Bewegungselastizität
- Spannungsregulation
- Bewegungsisolation
- Bewegungsadaptation
gerade Störungen im motorischen Bereich sind für Kinder und Jugendliche
besonders belastend, weil sie aufgrund ihrer Bewegungsungeschicklichkeit häufig
verlacht und/ oder isoliert werden, das wiederum hat negative Auswirkungen auf
die Identitätsentwicklung und ihr Selbstvertrauen
3.1.4 Reaktionsfähigkeit
- Reaktionsfähigkeit ist Schnittmenge von visuellen Wahrnehmungen,
akustischer Wahrnehmung, Motorik, Kommunikationsfähigkeit und sozial-emotionalen
Qualifikationen
- Schwerfälligkeits-/ Verzögerungsmoment, das die zugehörigen
Handlungsabläufe verlangsamt bzw. ganz ins Stocken bringt oder aber
es entwickelt sich impulsives Verhalten (blinder Aktionismus)
3.1.5 Kommunikationsfähigkeit
- Verhalten und Handeln im Verkehr wird als Kommunikation bezeichnet,
Verkehrserziehung ist die Steigerung der Kommunikationsfähigkeit im
Verkehr
Kommunikation:
- setzt die Anwesenheit eines Senders und eines Empfängers voraus
- zwischen Sender und Empfänger besteht räumlicher oder raumzeitlicher
Anstand, der überbrückt werden soll
- Überbringen der Nachricht kann nur dann gelingen, wenn der Sender
eine Nachricht zuerst verschlüsselt, so dass ein Signal entsteht
- auf dem Menschen zur Verfügung stehenden Kanälen wird das
Signal gesendet
- hat der Empfänger das Signal wahrgenommen, versucht er, dieses
nach dem ihm zur Verfügung stehenden Deutungsmuster zu kategorisieren,
um es entschlüsseln zu können
- bei diesem Vorgang kann es zu Störungen kommen, die die Nachricht
in ihrer Bedeutung bis zur Unkenntlichkeit verzerren können:
- Vorgang der Signalgebung:
- Signalbildung läuft in der Regel schnell und zügig
ab, weil die Signale durch Übung im Gehirn gespeichert werden
und bei Bedarf automatisch zur Verfügung stehen
- Einüben geschieht, indem versuchsweise produzierte Signale
mit den angestrebten Absichten verglichen werden, Übender muss
drei unterschiedliche Größen miteinander vergleichen:
seine Absicht, sein Signal und das Verhalten des Empfängers
- demnach ist sowohl eine kognitive Leistung als auch eine Wahrnehmungsleistung
notwendig
- es kann sein, dass der Kommunikationspartner auf dem Kanal nicht
wahrnehmen kann oder dass ein eigentlich richtiges Signal über
einen falschen Kanal gesendet wird
- Vorgang des Entschlüsselns
- zwischen Sender und Empfänger muss stillschweigende Übereinstimmung
über die Bedeutung von Signalen bestehen
- setzt gleichberechtigtes Handeln zwischen den Kommunikationspartnern
voraus und unterstellt einen lediglich zweiseitigen Nachrichtenaustausch
(beides ist im Straßenverkehr nicht gegeben)
- Straßenverkehr ist Zusammenballung beziehungsloser Subjekte und
bildet letztlich immer einen Nachrichtenaustausch ab
- relative Sicherheit lässt sich nur durch sich automatisch einstellende
Handlungsabläufe und einen Rückgriff auf eher archaisch anmutende
Kommunikationsmuster erreichen
- mimische Starrheit des Autos führt generell zu einer Kommunikationsverarmung
- Straßenverkehr stellt sich als Vorgang dar, in dem Partner mit
höchst eingeschränkten Kommunikationsfähigkeiten doch immer
wieder auf Kommunikation angewiesen sind
- zu den grundlegenden Qualifikationen im Straßenverkehr gehört
es, Absichten so in Signale umsetzen zu können, dass sie zumindest
grob verstanden werden
- Kommunikationsfähigkeit im Verkehr heißt also zunächst,
sich der Unsicherheit der Entschlüsselung und der benutzten Kanäle
bewusst zu werden, dies beinhaltet jedoch zugleich die Aufforderung, wenige
eindeutige Zeichen zu vereinbaren und einzuüben
3.1.6 Sozial-emotionale Qualifikationen
- Gefühle sind menschliche Erregungszustände, die vom Individuum
hinsichtlich der Stärke und Ausprägung meist als einzigartig erlebt
werden
- niemand kann Gefühle willensmäßig selbst produzieren,
sondern man hat sie einfach und erlebt sie als Teil der eigenen Persönlichkeit
- jedes Gefühl hat auch soziale Anteile: zum einen werden Gefühle
hinsichtlich ihrer Stärke und Ausformung durch zwischenmenschliche
Erfahrungen und Situationen beeinflusst, zum anderen hat jedes Gefühl
einen realen oder gedachten Anknüpfungspunkt außerhalb der eigenen
Person
- Umgang mit eigenen Gefühlen und den Gefühlen anderer muss
erlernt werden, Voraussetzungen dafür:
- Vorhandensein eines Gefühls sollte zunächst einmal wahrgenommen
werden (kann in der Regel durch eine innere oder äußere Versprachlichung
erleichtert werden)
- Vorhandensein eines Gefühls sollte zwar nicht unbedingt begrüßt,
wohl aber akzeptiert werden
- soziale Grundqualifikationen, die für das Handeln im Verkehr besonders
wichtig sind:
- Perspektivenwechsel
- Einfühlen in andere
- Frustrationstoleranz (erfordert Gelassenheit und Selbstbewusstsein)<
- Rollendistanz
- Ambiguitätstoleranz (Fähigkeit, in wahrnehmungsmäßig,
kognitiv oder emotional uneindeutigen Situationen nicht vorschnell zu
scheinbar eindeutigen Schlussfolgerungen und damit möglicherweise
zu falschen Handlungsweisen zu kommen)
- Spannungsbogen (Fähigkeit, zwischen dem Auftreten und der Befriedigung
eines Bedürfnisses eine kurze Zeitspanne der Besinnung einschieben
zu können)
3.2 Verkehrsspezifische Kompetenzen
- Teilnahme am Straßenverkehr ist deshalb so schwierig, weil nicht
nur die Elemente einer aktuellen Situation wahrgenommen werden müssen,
sondern auch der Zusammenhang der Elemente in seiner Bedeutung für
das Verhalten des einzelnen
- das erfordert nicht nur das Herausfiltern für die Situation bedeutsamer
Wahrnehmungen, sondern auch die richtige Deutung von Zusammenhängen
- Vermittlung von aktivierender Vorsicht (Vorsicht, die Handlungen zwar
zulässt, sie diese aber zurückhaltend aktualisieren lässt
- nicht nur Einschleifen von Verhaltensmustern, sondern Anstreben
eines Verstehens und eines möglichst flexiblen Gebrauchs der Kompetenzen
- Maximalforderung
- Schaffen von Raumbewusstsein (allgemeine Lagebestimmungen in Bezug auf
die Verkehrsräume, die verkehrsregelnden Zeichen, die Verkehrsmittel
und die Verkehrsteilnehmer erlernen, die somit identifiziert und benannt
werden)
- visuelle Orientierung: Unterscheidung von Grundfarben, Verständnis
des Blinken, Unterscheidung von Symbolen und Formen
- akustische Orientierung: Erkennen, Zuordnen, interpretieren und Lokalisieren
unterschiedlicher Verkehrsgeräusche (besonders schwierig: Richtungshören)
- Reaktionsfähigkeit: richtige Reaktionen setzen Schnelligkeit und
Ambiguitätstoleranz voraus
- angemessenes Bewusstsein für die Gefährlichkeit des Straßenverkehrs
durch möglichst einfache und eindeutige Verhaltensregeln:
- Halten am Bordstein (der Sichtlinie)
- Benutzung der inneren Seiten des Gehwegs
- Verbot des Ausweichens auf die Straße
- Verbot, rollendem Spielzeug oder Tieren auf die Fahrbahn nachzulaufen
- Verbot, die Straße zu überqueren, wenn ein Zebrastreifen
oder ein Überweg mit Fußgängerampel in Sicht ist
- da Kinder Autos oft personifizieren, ist es nicht einfach, ihnen die
Gefährlichkeit von Autos zu vermitteln
- lernen, Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu lenken
- weitere Kompetenzbereiche sind das Verhalten in und an öffentlichen
Verkehrsmitteln
- in Notsituationen sollten sie sich bemerkbar machen, Hilfe holen können
und anderen Hilfe ermöglichen
- Kenntnis der äußeren Lebensdaten, Fähigkeit, ein
Telefon zu benutzen
- für Radfahrer gelten die gleichen Anforderungen wie für nichtbehinderte
radfahrende Kinder