Aufgrund einiger Nachfragen möchte
ich hier besonders darauf hinweisen, dass ich mich bei der Klassifizierung der
Behinderungsformen berufe auf:
Heinz Mühl (1994): Einführung in
die Geistigbehindertenpädagogik. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer
Darüber hinaus handelt es sich
bei den beschriebenen Symptomen selbstverständlich um mögliche Symptome. Nicht
jeder betroffene Mensch weist alle angeführten Symptome auf.
Allgemeines
- ca. 50 % der geistigen Behinderungen gehören zu den anderen und ätiologisch
unklaren Formen
Behinderungsformen
Wilsonsche Krankheit
- autosomal rezessiv vererbt
- Störung des Kupferstoffwechsels, dadurch Ablagerung von Kupfer
im Gehirn
Formen:
- juveniler Typ:
- rasch fortschreitend
- tritt zwischen dem 5. und 20. Lebensjahr
auf
- dominierende hepatische Symptome (wie
z.B.
- allgemeine Müdigkeit
- Magen- und Darmstörungen
- Gelenkschmerzen
- Gelbsucht
- Anämie
- adulter chronisch fortschreitender Typ
- tritt erst im Erwachsenenalter zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr
auf
- typische
neurologisch-psychiatrische Symptome
- Zittern
- Sprachstörungen
(Störung der Sprechmotorik)
- Schwierigkeiten beim Gehen und Schreiben
-
vermehrter Speichelfluss
- Versteifung und Fehlstellung der Gliedmassen
- psychiatrische Auffälligkeiten (reichen von Psychose, verminderter geistiger
Leistungsfähigkeit bis zu schweren Verhaltensstörungen)
-
Patienten werden erstmals im Alter zwischen 5-15 Jahren durch erhöhte Leberwerte
auffällig, die zunächst auf eine Hepatitis hinweisen
Lesch-Nyhan-Syndrom (Hyperurikämiesyndrom)
- x-chromosomal rezessiv vererbt
- massiv erhöhte
Harnsäureausscheidung.
- Häufigkeit: 1:50.000 bis 1:100.000
(je nach Autor)
- Störung des Purinstoffwechsels
- Symptome:
- bei Geburt: keine Auffälligkeiten
- sechs bis acht
Wochen nach Geburt: erhöhte Brechneigung
- nach ca. zehn Monaten: klinisch charakteristischer Phänotyp:
- auffällige Beinstellungen
- stark eingeschränkten Bewegungsdrang.
Außerdem werden
- Entwicklungsrückstände
- Formen:
- leichte Form:
- erhöhte Harnsäureausschüttung
- später Gichtanfälligkeit
- stärkere Form:
- wie leichte Forum
- erste Anzeichen von
Selbstverstümmelungen an Unterlippen und Fingern
- keine Beeinträchtigungen der geistigen
Entwicklung
- schwerste Form:
- sehr starke Autoaggressionen (Kinder beißen sich in die
Unterlippe und Fingerspitzen - allerdings bezieht sich diese Autoaggressivität
nur auf eine Hand)
- Fremdaggressivität
- starke geistige Behinderung
- Prognose: Kinder mit der schweren Form überleben das Teenageralter
nicht
Tuberöse Sklerose
- autosomal dominant vererbt
- komplexe
Systemerkrankung mit tumorartigen Veränderungen in fast allen Organen
- wirkt sich vor allem im Nervensystem und auf der Haut aus
- Häufigkeit: 1:5.000
- Trias: Adenoma sebaceum
+ Epilepsie + geistige Behinderung
- Epilepsie:
- können bei den meisten Betroffenen nur begrenzt medikamentös
behandelt werden
- Tumore:
- werden oft frühzeitig im Gehirn festgestellt
- in den Nieren finden sich häufig Tumore und Zysten
- Rhabdomyome sind bei vielen Kindern von Geburt an im Herzen (machen in den meisten
Fällen keine ernsthaften Probleme)
- Lunge und weitere Organe können von Tumoren befallen
werden
- Hautveränderungen
- weiße blattförmige
Flecken an Rücken und Beinen (sind oft
schon bei Geburt vorhanden oder bilden sich sukzessiv am Körper)
- Fibrome an Zahnfleisch, Zehen und Gesicht
- Adenoma sebaceum
- Geistige Behinderung:
- Störungen der Sprachentwicklung
- Störungen der Bewegungsentwicklung
- Lernstörungen
- Verhaltensauffälligkeiten
- Prognose:
- keine Heilung möglich
- Lebenserwartung kann dann durch mögliche Infektionen, schwere Anfälle und
durch das Auftreten von Tumoren begrenzt sein
Neurofibromatose Typ 1 (Morbus Recklinghausen)
- Tumorerkrankung,
die sich in erster Linie durch Tumoren auf der Haut und/oder am Nervensystem
zeigt
- gutartige Tumore, die sich im Nerven- und
Bindegewebe bilden
- es handelt sich dabei um einen Defekt des Chromosom 17
(Mutationen im NF1-Gen auf dem
langen Arm von Chromosom 17)
- Häufigkeit: 1:3000
- autosomal dominant vererbt
- bei ca. 50% der Betroffenen liegt eine erblich bedingte Erkrankung vor,
bei der anderen Hälfte liegt eine Spontanmutation zugrunde
- wichtiges diagnostisches Mittel
zur Feststellung von Tumoren im Körperinneren und deren Lage ist die Kernspintomographie oder auch
Magnetresonanztomographie (MRT)
- kosmetisch störende Fibrome an der Haut lassen sich relativ
einfach operativ oder auch mit der Laserchirurgie entfernen
- problematisch sind
Fibrome an oder bei Nervenbahnen, weil die Gefahr der unwiederbringlichen Zerstörung des Nerven mit
nachfolgender Funktionseinschränkung besteht.
- Merkmale treten erst im Laufe des Lebens und dann zunehmend in Erscheinung
- Symptome:
- Neurofibrome
- "Lisch-Knötchen"
- Cafe-au-lait-Flecken
- sommersprossenartigen
Sprenkelungen in den Achselhöhlen
- Irisknötchen auf der Regenbogenhaut des
Auges
- Optikusgliome
- Tumore des
Gehirns oder des Wirbelkanals
- SkolioseVerbiegungen oder Falschgelenkbildungen an den
Unterschenkelknochen
- spezifische
Lernprobleme
- selten geistige Behinderung
-
Prognose
- bei 60% der Erkrankungen handelt es sich um milde
Verläufe
- lebenslang besteht die Gefahr der Entwicklung
bösartiger Tumoren (diese Komplikation liegt etwa 5% über der
Wahrscheinlichkeit in der allgemeinen Bevölkerung)
Rett-Syndrom
Allgemeines:
- genetisch
verursachte sehr schwere neurologische Entwicklungsstörung
- verantwortliches Gen: MECP2
- Häufigkeit: 1:10.000 bis 1:15.000
- betrifft nur Frauen
Symptome:
- Störung tritt in der Regel ab Ende des ersten Lebensjahres auf
- sehr häufige Begleitsymptome, die fast alle Kinder betreffen sind
- Epilepsien
unterschiedlichster Ausprägung
- Skoliose
- Stereotypien und damit verbundene
Apraxie
- Ataxie
- Verdauungsprobleme
- mangelnde Durchblutung der
Extremitäten mit kalten, bläulichen Füßen
- Atemunregelmäßigkeiten
Verlauf:
- verschiedene Stadien
- nach zunächst weitgehend
unauffälliger Entwicklung kommt es zu einem Entwicklungsstillstand und in der
Folge zum Verlust vorhandener Fähigkeiten und Desinteresse an der Umwelt
- Stadien im Verlauf des typischen Rett-Syndroms:
- frühes Stadium (im Alter von 6 bis 18 Monaten): Verlangsamung und Stillstand in der Entwicklung,
weniger
Augenkontakt und Interessenverlust an Spielzeug
- zweites Stadium (im Alter von 1 bis 4 Jahren): meist
sehr dramatisch, in kurzer Zeit Verlust der bereits
erworbenen Sprache und Handfertigkeiten, verlangsamtes Kopfwachstum, die
Mädchen sind irritiert, erleiden Schreiattacken und beginnen mit stereotypen
Handbewegungen, oft autistische Züge bei stark beeinträchtigten kommunikativen
Fähigkeiten
- drittes Stadium: relative Stabilisierung tritt ein und einzelne Fähigkeiten werden
wieder erlangt (vor allem die Kommunikation
beteffend), Verständigung mit der Umwelt ist durch Augenkontakt und teilweise mit Hilfe
unterstützter Kommunikation wieder möglich, motorische Fähigkeiten sind weiter stark eingeschränkt, epileptische Anfälle
treten häufig auf, dieses Stadium kann Jahre andauern
- spätes Stadium: zunehmende Bewegungsstörungen und orthopädische
Probleme, insbesondere eine Wirbelsäulenverkrümmung, stehen im Vordergrund,
kommunikative Fähigkeiten und verbliebene Handfunktionen nehmen jedoch nicht
weiter ab
Diagnostik:
- für die Diagnose Rett-Syndrom werden folgende Kriterien als notwendig
erachtet:
- Normale Schwangerschaft und Geburt
- Weitestgehend normale Entwicklung während der ersten 6, oft 15 bis 18
Lebensmonate.
- Normaler Kopfumfang bei Geburt
- häufig Verminderung des Schädelumfangwachstums zwischen 1. und 4.
Lebensjahr.
- Vorübergehender Verlust von sozialer Kontaktfähigkeit
- Störung der Sprachentwicklung und Kommunikationsfähigkeit, mentale
Retardierung unterschiedlichen Ausmaßes
- Verlust erworbener, sinnvoller Handfunktionen zwischen 1. und 4. Lebensjahr.
- Handstereotypien: waschende, knetende, schlagende, zupfende Bewegungen.
- Störungen im Gangbildweibliches Geschlecht
- erhärtende Kriterien
- Weibliches Geschlecht.
- Atemregulationsstörungen (Phasen mit Hyperventilation, Atempausen)
- EEG-Abnormitäten
- epileptische Anfälle
- Hypotonie im Anfangsstadium, später eher Spastizität oder Rigidität der
Muskulatur, wenig ausgeprägte Muskulatur
- Skoliose
- schlecht durchblutete, häufig kleine, kalte, bläuliche Füße
- Wachstumsretardation
- Bruxismus
- Ausschlusskriterien
- Beweis intrauteriner (vorgeburtlicher) Wachstumsretardierung
- Organvergrößerung oder andere Hinweise auf Speicherkrankheiten
- Retinopathie oder eine optische Atrophie
- Mikroenzephalie bei Geburt
- seit 1999 kann die Diagnose Rett-Syndrom mit einem Gentest erhärtet werden,
bei Kindern mit einem typischen
Verlauf, ist dieser zu 80 % bis 85 %
positiv
Therapie:
- keine Möglichkeit der Behandlung
Prognose:
- Lebenserwartung ist prinzipiell nicht eingeschränkt, obwohl die
Sterblichkeit offenbar leicht erhöht ist
- durch das Auftreten einer
schwerwiegenden Skoliose werden die inneren Organe beeinträchtigt und es kommt
häufiger zu Lungenentzündungen
- schwere epileptische Anfälle und unklare
Herzrhythmusstörungen können für die plötzlichen Todesfälle, von denen
vereinzelt berichtet wird, verantwortlich sein
Cornelia de Lange-Syndrom
- Dysmorphiesyndrom
- Symptome
- schwere geistige
Behinderung
- niedriges Geburtsgewicht
(unter 2500 g)
- Gesichtsdysmorphie
- zusammengewachsene Augenbrauen
- lange Augenlider
- niedriger
Haaransatz
- dünne Lippen
- prominentes Philtrum
- Handdysplasie
- Minderwuchs
- schwere psychomotorische Retardierung
- Hypertonie
- Microcephalie
- exzessive Körperbehaarung
- gastrointestionale
Störungen mit gastroösophagealem Reflux und schweren Ernährungsstörungen
- Ösophagitis
- Anämie
- Aspirationsneigung
- Wachstumshemmung
- endgültige Körpergröße: Mädchen: knapp über 130 cm;
Jungen: knapp unter
150 cm
- kongenitale Herzdefekte unterschiedlicher Art
- verschiedene Augenprobleme
- Hörbeeinträchtigungen
- Prognose: verkürzte Lebenserwartung infolge von Infektanfälligkeit
bei schwerster Retardierung
Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom
- autosomal rezessiv vererbt
- Fehlbildungssyndrom
- Symptome:
Prader-Willi-Syndrom
- Ursache:
- bei ca. 50% der
Patienten ist Deletion oder Translokation
auf dem
langen Arm des Chromosoms 15 nachweisbar
- fehlende Freisetzung des
Gonadotropin-Releasing-Hormons (Gn-RH) im Hypothalamus
- Häufigkeit: 1:10.000 bis 1:170.000
- Männer
sind häufiger betroffen als Frauen
- gemeinsames Auftreten (hormonell bedingter) Störungen, wie
- Symptome:
- Diabetes mellitus
- Akromikrie
- Skoliose
- Schielen
- mangelhafte Entwicklung und Ausbildung der Geschlechtsorgane
und verzögerter Eintritt der Pubertät
- bei Jungen häufig
Kryptorchismus
- Unfruchtbarkeit
- verzögerte geistige Entwicklung und eingeschränkte Intelligenz
-
Therapie:
- Hormonsubstitution
- symptomatisch.
- Komplikationen
- Prognose: verkürzte Lebenserwartung
Rubinstein-Taybi-Syndrom
- Symptome:
- verzögerte geistige
Entwicklung
- Minderwuchs mit
kleinem Kopf
- breite Daumen und Großzehen, die auch im rechten Winkel abstehen
- "Vogelgesicht" (mit spitzer Nase, etwas deformierten Ohren, einem sehr
hohen Gaumen, schrägliegenden Augen, sehr hohen Augenbrauen)
- rötliches Geburtsmal auf der Stirn
- hohe Dehnbarkeit der Gelenke
- kleine schiefe Hüfte
- vermehrte
Behaarung
- Jungen: ungesenkte Hoden
- medizinische Probleme:
- Nahrungsaufnahme
-
Infektionen der Atemwege
- Ohren- und Augenentzündungen
- Verstopfung
der Ohren
- zuviel Schleimproduktion
- chronische
Verstopfung
- Herzprobleme
- Rückgradunregelmässigkeiten
- Magenrückfluss und Erbrechen
- Nierenprobleme
- orthopädische Probleme
Sjögren-Larsson-Syndrom
- autosomal rezessiv vererbt
- neuroektodermale Dysplasie
- Symptome:
- schuppende Haut
- schwere geistige Behinderung
- spastische Di- oder
Tetraplegie
- Netzhautdegeneration
Frühkindlicher Autismus
Angelman-Syndrom
(Happy-Puppet-Syndrom)
Allgemeines:
- neurologische Störung mit Verzögerungen der geistigen Entwicklung, die sich bei
den Betroffenen äußerlich durch für die Krankheit charakteristische
Gesichtszüge und charakteristisches Verhalten bemerkbar macht
- wurde 1965 von Dr. H. Angelmann, einem englischen Arzt, entdeckt
- Häufigkeit: ca. 1: 20.000
Ätiologie:
- neurologischer Gendefekt
- in über 70% der Fälle sind Mikrodeletionen auf dem mütterlich ererbten
Chromosom 15 verantwortlich
- außerdem: fehlerhafte Methylierung auf dem demselben
Chromosomenabschnitt
Symptome:
- starke Entwicklungsstörungen
- geistige Behinderung
- Störung der körperlichen Selbstwahrnehmung
- keine Sprachentwicklung
- freundlicher/ fröhlicher Gesichtsausdruck
- freundliches Wesen
- motorische Probleme durch Ataxie
- Epilepsie und unregelmäßiges
EEG
- Hypopigmentation
der Haut, helle Haare und Augen, dadurch Lichtempfindlichkeit
- Mikrocephalie
- häufiges Lächeln und Lachen
- Hyperaktivität
- große Zunge, breiter Mund
- kleine, weit auseinander stehende Zähne
- Strabismus
- kleiner Körperbau
- flacher Hinterkopf
- übermäßiger Speichelfluss und zwanghafte Kaubewegungen
- kleine, breit verteilte Zähne
- breiter Gang (Füße weit auseinander), nach außen gedrehte Füße
- kleine Hände und Füße
- übermäßiges Schwitzen, Hitzeempfindlichkeit
Komplikationen:
- nahezu
ausschließlich durch Krampfanfälle
Prognose:
-
Lebenserwartung ist nicht verringert